Die Schweizer Diözesanbischöfe haben kürzlich ein neues Dekret erlassen: Zukünftige Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen eine mehrstufige psychologische Eignungsprüfung durchlaufen, bevor sie für den kirchlichen Dienst zugelassen werden. Auf den ersten Blick scheint das eine vernünftige Maßnahme zur Qualitätssicherung zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich schwerwiegende Widersprüche, rechtsstaatliche Bedenken und eine bedenkliche Ignoranz gegenüber der geistlichen Dimension des Berufs.
Eine der gravierendsten Bestimmungen des Dekrets ist Punkt 7: Es gibt keine Möglichkeit, gegen das Ergebnis dieser Prüfung Einspruch zu erheben. Das bedeutet, dass eine einzelne Bewertung über die gesamte seelsorgliche Zukunft einer Person entscheiden kann – ohne Chance auf Überprüfung oder Korrektur.
Eine solche Regelung widerspricht jeder rechtsstaatlichen Grundordnung. Warum wird ein so fundamentales Prinzip – das Recht auf eine zweite Meinung, auf Transparenz und eine faire Anhörung – in der Kirche einfach außer Kraft gesetzt?
Fehlentscheidungen sind menschlich. Gerade psychologische Gutachten sind keine exakten wissenschaftlichen Diagnosen, sondern immer interpretationsabhängig. Dass es dennoch keine Überprüfungsmöglichkeit gibt, wirft die Frage auf: Geht es hier wirklich um Qualitätssicherung – oder um Kontrolle und Machtausübung?
Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit dem psychologischen Gutachten auftritt, wurde im Interview mit Professor Jérôme Endrass, dem forensischen Psychologen und „Vater des Assessments“, deutlich. In einem Gespräch mit «kath.ch» vom 12. Januar 2025 erklärte Endrass, dass es als „reflektiert und plausibel“ erscheine, wenn ein Priesteramtskandidat auf die Frage nach dem Umgang mit dem Zölibat antworte, er habe „für sich einen Umgang mit der Sexualität gefunden – indem er eben eine Freundin habe“.
Diese Aussage wirft schwerwiegende Fragen auf:
Wie kann ein Mann, der das Zölibatsversprechen nicht ernst nimmt und Frauen als Mittel zur Triebbefriedigung betrachtet, als geeignet für den priesterlichen Dienst angesehen werden?
Diese Haltung steht in einem eklatanten Widerspruch zu den Grundsätzen des priesterlichen Lebens und der kirchlichen Lehre.
Sie zeigt, dass das Assessment-Verfahren nicht nur fragwürdige Kriterien anlegt, sondern auch die Gefahr birgt, Kandidaten zu bevorzugen, die sich nicht an die spirituellen und moralischen Anforderungen des Priesteramtes halten wollen.
Manche könnten argumentieren, dass die beschriebenen Praktiken eine Form von geistlichem Missbrauch darstellen, da sie die spirituelle Freiheit und Integrität der betroffenen Personen einschränken könnten.
Für jene, die den Zölibat aus einer tiefen Beziehung zu Christus heraus leben wollen, könnte dieses Verfahren sogar hinderlich sein. Es scheint, als würden solche Kandidaten, die ihre Berufung ernsthaft und im Einklang mit den kirchlichen Idealen leben möchten, durch das Assessment benachteiligt. Dies wirft die Frage auf, ob das Verfahren tatsächlich geeignet ist, die richtigen Kandidaten für den priesterlichen Dienst auszuwählen.
Ein weiteres großes Problem dieses Dekrets ist, dass es sich ausschließlich auf psychologische und forensische Methoden stützt, aber den Glauben als entscheidenden Faktor völlig ignoriert.
Ein Mensch mit einer lebendigen, echten Beziehung zu Jesus Christus vergreift sich nicht an Schutzbefohlenen. Wer seinen seelsorglichen Dienst aus einem tiefen Glauben heraus lebt, stellt sich in Verantwortung vor Gott – eine Dimension, die kein psychologisches Assessment erfassen kann.
Doch im gesamten Dekret gibt es keinen einzigen Hinweis darauf, dass die spirituelle Reife eines Kandidaten geprüft wird.
Ein solches Vorgehen zeigt eine besorgniserregende Verweltlichung der Kirche. Anstatt geistliche Unterscheidung zu praktizieren, vertraut man auf psychologische Checklisten. Damit wird die Tür geöffnet für oberflächliche Beurteilungen, die das Wesentliche aus den Augen verlieren.
Das Verfahren bleibt auch in anderen Punkten bedenklich intransparent:
Hinzu kommt ein enormes Datenschutzrisiko. Psychologische Gutachten sind hochsensible Daten – doch das Dekret schweigt sich darüber aus, wer Zugang zu den Ergebnissen hat, wie lange sie gespeichert werden und ob die Kandidaten sie überhaupt einsehen dürfen.
Wenn das Ziel des Dekrets der Schutz Dritter ist – warum gilt es dann nur für Seelsorger und Priesteramtskandidaten? Auch Religionspädagoginnen und Religionspädagogen arbeiten intensiv mit Gläubigen, insbesondere Jugendlichen.
Gerade in der Jugendarbeit zeigt sich ein weiteres Problem: Seelsorge lebt nicht nur von festen Mitarbeitern, sondern oft von ehrenamtlicher Unterstützung.
Sollte das Ziel wirklich ein sicherer und guter Umgang mit jungen Menschen sein, dann müsste man sich fragen:
Das Dekret zur psychologischen Eignungsprüfung offenbart eine Orientierungslosigkeit innerhalb der Kirche:
Pfarreien stehen heute vor einer großen Herausforderung:
Sie brauchen dringend gutes Personal.
Doch wenn das neue Eignungsverfahren zu einem bürokratischen Hemmschuh wird, könnte es zu einer ungewollten Entwicklung führen: Pfarreien könnten anfangen, ihre eigenen Wege zu gehen.
Bereits heute stellt sich die Frage nach der Qualifikation des Personals: Nicht wenige Pfarreien sehen sich aufgrund von Personalmangel gezwungen, Mitarbeiter in der Verkündigung einzustellen, die ohne bischöfliche Missio arbeiten.
Menschen mit "klassischen Ausbildungswegen" werden immer seltener.
Es wird deutlich, dass nicht jeder Religionslehrer gläubig und „katholisch“ ist, während es zugleich eine wachsende Zahl gläubiger Menschen gibt, die „nicht katholisch“ sind.
Einige von ihnen haben ihre Ausbildung in Kursen außerhalb der katholischen Kirche absolviert und bringen dennoch eine tiefe Jesus-Spiritualität mit. Dies wirft die Frage auf, wie die Pfarreien in der Zukunft ihre Personalpolitik gestalten werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Herausforderungen durch das neue Eignungsverfahren.
Man darf nicht vergessen, dass die Anstellungsbehörden in vielen Fällen die politischen Kirchenräte sind. Ihre Entscheidungen könnten maßgeblich dazu beitragen, wie Pfarreien auf die aktuellen Entwicklungen reagieren und ob der Zugang zu qualifiziertem Personal gewährleistet bleibt.
Letztlich stellt sich die Frage: Wird mit diesem Dekret wirklich das seelsorgliche Wohl der Kirche gefördert – oder entstehen am Ende nur neue Probleme, die das kirchliche Leben zusätzlich erschweren?
01.04.2025
Seit Februar 2021 bin ich Pfarrer in der Pfarrei Hergiswil am See, Nidwalden (NW).
Stephan Schonhardt, Dorfplatz 15, CH-6052 Hergiswil am See
Sekretariat: +41 (0) 41 632 42 22
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